Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen: FU diskutiert das Tabuthema "Gewalt in der Familie"

Prügeln, schlagen, treten, drohen, würgen, stechen – der „Tatort Familie“ kennt alle Formen körperlicher und psychischer Gewalt. Jede vierte Frau in Deutschland hat – nach einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – mindestens einmal erlebt, was „häusliche Gewalt“ bedeutet. 800.000 Todesfälle sind weltweit registriert. Allein in Berlin gibt es pro Jahr rund 1500 Meldungen. In durchschnittlich 800 Fällen besteht Hilfebedarf wegen psychologischer, ökonomischer oder sexueller Gewalt.


 

Wie ist die aktuelle Situation in Berlin? Was wurde bisher getan? Was muss dringend noch getan werden? Bei einer Podiumsdiskussion der Frauen Union Charlottenburg-Wilmersdorf und der Frauen Union Mitte setzten sich Emsal Kilic (Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen), der CDU-Landtagsabgeordnete Sven Rissmann und Falko Liecke, Stadtrat in Neukölln (CDU), am 25. November 2015 mit diesen Fragen auseinander. Die Moderation übernahmen Daniela Schulz-Gast (Mitte) und Anca Specht (Charlottenburg-Wilmersdorf).

Häuslich Gewalt ist immer noch ein Tabuthema. Frauen halten häufig Gewalt aus, weil sie finanziell abhängig sind, weil sie Angst haben, die Kinder zu verlieren oder ihren Partner trotz allem immer noch lieben. Aggression im „trauten Heim“ kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor. Und: Gewalterfahrung wird häufiger regelrecht „vererbt“, meint Emsal Kilic: Die Mutter habe das schon ausgehalten, also müsse es die Tochter auch ertragen. Viele Frauen bleiben bei gewalttätigen Männern, weil sie aus der eigenen Kindheit nichts anderes kennen. Diesen Teufelskreis gelte es zu durchbrechen und den Frauen wieder mehr Selbstbewusstsein zu geben. Denn Gewalt sei immer auch Erniedrigung.

Ihre „Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen“ betreibt eine Hotline (Tel. 611 03 00, www.big-hotline.de/), die Frauen in Not unterstützt. Und das in 51 Sprachen rund um die Uhr. Emsal Kilic rät dringend dazu, Hilfe zu suchen. Denn: Gewalt hört nicht von alleine auf. Meist wird es eher noch schlimmer.

In Berlin gäbe es mittlerweile fünf Beratungsstellen, vier Frauenhäuser und ca. 40 Zufluchtswohnungen.


 

Sven Rissmann, MdA, betont, dass fast alle Straftatbestände bei häuslicher Gewalt vorkämen, es handele sich nicht um eine Bagatelle. Problematisch sei oft allerdings die Beweissicherung, die Opfer würden sich schämen zum Arzt zu gehen und z.B. nach einer Vergewaltigung Sperma sichern zu lassen. Oft befürchteten sie dann noch mehr Gewalt, wenn der Mann davon erführe.


 

Opferschutz sei deshalb für seine Partei die zentrale Aufgabe. Ganz wichtig sei die Gewaltschutzambulanz, die der Charité angegliedert ist. Seit 2014 können Opfer von Gewalt hier ihre erlittenen Verletzungen rechtsmedizinisch untersuchen und dokumentieren lassen. Das geht auch, ohne dass Anzeige bei der Polizei erstattet werde. Denn die Opfer möchten oft anonym bleiben. Die CDU hat erreicht, dass für die Gewaltschutzambulanz im Haushalt 2016/17 erheblich mehr Mittel bereitgestellt werden, nämlich 650.000€ pro Jahr statt bisher 220.00€.


 

Als erstes Bundesland hat Berlin einen eigenen Opferschutzbeauftragten eingerichtet, der die verschiedenen Hilfsorganisationen für Opfer von Gewalt und Kriminalität vernetzen und koordinieren soll.


Auf viele positive Ansätze, wenn es um den Kampf gegen häusliche Gewalt geht, ist Falko Liecke stolz. Der CDU-Stadtrat für Jugend und Gesundheit in Neukölln konnte das Jugendamt personell aufrüsten; alle Stellen im Kinderschutz-Team sind besetzt.

Mit einer eigenen Smartphone-App informiert der Bezirk junge Familien über Hilfsangebote und erinnert an Vorsorge-Termine. Liecke sagt: "Kinderschutz braucht Kinderschützer!"


 

Gut angenommen, so Liecke, wird in Neukölln auch die sogenannte „Schrei-Ambulanz“ (Eltern-Baby-Hilfe) im Vivantes-Klinikum in der Rudower Straße. Wenn das Baby stundenlang schreit, verlieren Eltern häufiger die Selbstbeherrschung und versuchen das Kind notfalls mit Gewalt zu beruhigen. Warum das Baby schreit, was man tun kann – Rat und Hilfe gibt es im Vivantes Klinikum.


 

In Berlin hat sich bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt einiges getan, aber es ist auch noch viel zu tun, so das Fazit der Runde. Gefordert wurde bei der Podiumsdiskussion unter anderem:


 

- Weiterbildung für Ärzte und Richter, um zu erkennen, was sind „normale“ Verletzungen und wo liegt Gewalt vor

- Vermeidung von Arzthopping mit Kindern, weil dadurch Misshandlungen zu verschleiern sind

- mehr Plätze in Frauenhäusern

- mehr Verantwortungsbewusstsein und Zivilcouragebei der Bevölkerung

- Präventionskurse und Selbsterfahrungsseminare für Familien

- und vor allem:

das Tabuthema „Häusliche Gewalt“ offen ansprechen. Häusliche Gewalt ist die weltweit am stärksten verbreitete Menschenrechtsverletzung – gehen wir dagegen vor.